Muttermilch mit der Hand gewinnen – warum du dich schon in der Schwangerschaft damit beschäftigen solltest, wie es geht und wann du das gebrauchen kannst

Wenn es etwas gibt, was jede Schwangere meiner Meinung nach lernen sollte, dann ist es das Gewinnen von Muttermilch mit der Hand.
Was, jede Schwangere? Ja, jede. Denn diese Fertigkeit und die dazugehörige Brustmassage können in jeder Phase der Stillzeit und auch schon davor hilfreich sein – sogar für Mütter, die nicht stillen möchten.
Wann und wofür ihr sie anwenden könnt und wie das überhaupt genau funktioniert, findet ihr hier.

Brauch ICH das wirklich?

Glaub mir, es schadet auf keinen Fall, sich mit der Gewinnung per Hand auseinanderzusetzen. Du hast immer etwas an der Hand (haha), um dir selbst zu helfen und bist komplett unabhängig von irgendwelchen technischen Geräten oder örtlichen Gegebenheiten – einfach praktisch und noch dazu keine Raketenwissenschaft.
Und es gibt so dermaßen viele Anwendungsmöglichkeiten – ab den letzten Schwangerschaftswochen bis hin zum Abstillen. Aber schau selbst:

  • Ab der 37. Schwangerschaftswoche bei einem Schwangerschaftsdiabetes zum Gewinnen von Kolostrum. So hast du nach der Geburt direkt etwas Gutes für euer Baby, womit der Blutzuckerspiegel stabilisiert werden kann. So kann auf Muttermilchersatzprodukte wie Pre verzichtet werden.
  • Wenn du nicht stillen willst, aber eurem Kind gern den Immun-Booster und all die guten Inhaltsstoffe der so wertvollen ersten Milch mitgeben, das aber nicht an der Brust tun möchtest
  • Wenn euer Kind gerade geboren wurde, ihr aber aus irgendwelchen Gründen wie zum Beispiel einer Frühgeburt oder einem Kaiserschnitt in den ersten Stunden nicht die ganze Zeit zusammen sein könnt
  • Wenn euer Kind in den ersten Stunden und Tagen zu müde oder zu schwach zum Trinken ist
  • Wenn du einen Milchstau hast und euer Kind gerade nicht bei der Beseitigung helfen kann oder will
  • Wenn du dir einen Vorrat von Milch anlegen möchtest und mit der Hand vielleicht sogar deutlich besser zurecht kommst als mit einer Pumpe (oder gar keine hast und anschaffen möchtest)
  • Wenn du sehr viel Milch oder einen starken Milchspendereflex hast und euer Kind damit nicht gut zurecht kommt
  • Wenn euer Kind in einen Stillstreik tritt und partout nicht trinken möchte oder du es aus anderen Gründen nicht anlegen kannst
  • Wenn du selbst zum Beispiel ins Krankenhaus musst und dort keine Pumpe oder Unterstützung verfügbar ist
  • Wenn du abstillen möchtest und immer wieder den größten Druck entlasten willst, um deine Brustgesundheit nicht zu gefährden

Hat das denn auch Vorteile?

Oh ja, es hat definitiv Vorteile die Muttermilch mit der Hand gewinnen zu können!
Wenn du dich mal mit der Technik vertraut gemacht und etwas Übung hast, hast du eine absolut gute Möglichkeit dir bei diversen Problemen selbst zu helfen und sozusagen bei dir selbst „Erste Hilfe“ zu leisten.
Du kannst am Anfang die Milchbildung in Gang bringen, auch wenn du und euer Kind getrennt seid und damit auch die „initiale Brustdrüsenschwellung“ (klingt halt sperriger als Milcheinschuss) abmildern. Du kannst Milch gewinnen für euer Baby oder als Erleichterung für deine Brust bei einem Milchstau.
Vor allem aber ersparst du dir rundherum eine Menge Arbeit im Vergleich zum Pumpen. Du musst nämlich außer deinen Händen nichts abwaschen, geschweige denn sterilisieren. Und du musst dir auch kein Rezept organisieren oder sogar die Kosten für eine Pumpe selbst tragen, sondern hast alles, was du dafür brauchst, immer zu Hausekostenlos. Zu guter Letzt bist du auch noch ortsunabhängig. Du kannst überall „Hand anlegen“: zu Hause, im Krankenhaus, auf deiner Arbeitsstelle… oder wo auch immer du Milch oder Entlastung deiner Brust brauchst.

Gute Vorbereitung erleichtert dir Vieles

„Ok, ok, ich hab’s verstanden. Aber wie funktioniert das denn jetzt?“
Zuerst einmal schaffe dir gute Voraussetzungen und lege dir alles bereit, was du brauchst. Überlege dir dafür, wofür genau du die Muttermilch mit der Hand gewinnen möchtest.
Möchtest du Kolostrum gewinnen, damit euer Baby nach der Geburt einen Immun-Booster bekommt? Oder soll es etwas Muttermilch als Zufütterung bei einem eventuellen Unterzucker erhalten? Dann besorge dir kleine Spritzen mit entsprechenden Verschlussstopfen und lege sie bereit.
Du willst nicht stillen, aber deinem Baby Kolostrum geben? Auch hier sind Spritzen hilfreich oder schlicht direkt ein Löffel, mit dem du eurem Baby die Milch dann vorsichtig einflößt.
Möchtest du dir einen kleinen Vorrat anlegen? Dann suche dir ein sauberes, gespültes Gefäß, in dem du dich Milch auffangen kannst.
Möchtest du bei starkem Milchspendereflex die ersten großen Schlucke ablaufen lassen? Dann kann schon eine Mullwindel reichen, in die du dich Milch laufen lässt.

Und dann suche dir einen gemütlichen Platz, an dem du dich wohlfühlst. Stell dir vielleicht sogar etwas zu Trinken bereit. Hole dir Kissen, damit du dich optimal abstützen und anlehnen kannst.

Jetzt ist ein guter Zeitpunkt, um deine Hände zu waschen. Und dann mach es dir an deinem vorbereiteten Platz bequem.

Jetzt geht’s endlich richtig los: Hand anlegen

Damit der Milchspendereflex ausgelöst wird und die Milch gut fließen kann, ist die Ausschüttung von Oxytocin im Gehirn notwendig. Das passiert in ganz unterschiedlichen Situationen: wenn du dich besonders wohlfühlst, angenehm berührt wirst, dein Kind schreien hörst, beim Orgasmus, unter der Geburt…
Und du kannst genau diese Ausschüttung von Oxytocin selbst auslösen. Dabei unterstützt dich die Brustmassage, die in vielen Situationen hilfreich ist – auch wenn du danach keine Muttermilch mit der Hand gewinnen möchtest. Aber dazu ein anderes Mal mehr.

Für die Massage entkleidest du deine Brüste und legst deine (angewärmten) Hände flach auf deine Brust. Eine Hand oberhalb der Brustwarze, eine Hand unterhalb.
Nun bewegst du deine Hände jeweils von rechts nach links. Dabei sollte sich die Position auf der Haut nicht verändern. Die Hände sollen also nicht einfach über die Haut rutschen. Stattdessen ist das Ziel, dass du durch die Bewegungen dein Brustgewebe sanft massierst.
Du kannst auch versuchen eher Wellenbewegungen mit deinen Händen durchzuführen, indem du abwechselnd eher deine Handballen oder eben deine Finger etwas mehr Druck aufbringen lässt.
Das Wichtigste dabei ist aber ganz klar: Es sollte niemals weh tun! Achte da also gut auf dich und deinen Körper.
Nach einiger Zeit wechselst du dann die Position deiner Hände und legst nun eine links und eine rechts neben deine Brustwarzen. Das Prinzip ist jetzt das gleiche: Durch das Bewegen deiner Hände ohne Verrutschen auf der Haut massierst du das Gewebe deiner Brust.
Zuletzt streichst du jetzt ganz zart immer wieder mit deinen Fingerspitzen vom Brustansatz hin zu den Brustwarzen – rundherum. Hier geht es eher um ein Streicheln, als um eine tiefer gehende Massage.
Wenn du magst, kannst du dich jetzt noch etwas nach vorne lehnen und die Brüste leicht ausschütteln. Man könnte es auch liebevoll den Milk-Shake nennen.

Für den Anfang reicht diese Art der Massage vollkommen aus! Wenn du damit vertraut bist, kannst du im Verlauf noch einen weiteren Schritt vor das Streichen der Brust einfügen. Er ist aber absolut kein Muss!
Dabei nutzt du zwei bis drei Finger einer Hand, die du abseits der Brustwarze auf deine Brust aufsetzt. Jetzt machst du kreisende Bewegungen, wieder ohne über die Haut zu rutschen. Nach einigen Drehungen setzt du deine Finger etwas weiter seitlich und beginnst von vorn. Mit diesem Massagegriff arbeitest du dich jetzt vom Brustansatz spiralförmig in Rundungen bis zur Brustwarze vor.
Anschließend kannst du wieder die Brust leicht streichen und dann ausschütteln.

Muttermilch mit der Hand gewinnen – so geht’s

Du hast jetzt alles super vorbereitet und beste Voraussetzungen geschaffen. Als nächstes geht es ganz konkret an die Gewinnung der Milch.
Hierfür platzierst du deinen Daumen und deinen Zeigefinger einander gegenüberliegend jeweils zwei bis drei Zentimeter entfernt von der Brustwarze.
Nun wiederholst du folgende Schritte immer wieder:

  1. Drücke mit deinen Fingern waagerecht nach hinten Richtung Brustkorb. Nicht wundern, die Haut wird dabei ein wenig gedehnt.
  2. Führe jetzt Daumen und Zeigefinger in Richtung Brustwarze wieder zusammen. Dabei entsteht eine leicht rollende Bewegung. Auch hier rutschen die Finger nicht auf der Haut, sondern bewegen das Drüsengewebe.
  3. Nach einigen Malen wirst du sehen, wie Milch aus der Brustwarze tropft oder sogar in mehreren kleinen Strahlen fließt.
  4. Achte darauf, dass du bei all diesen Vorgängen keine Schmerzen hast. Wenn doch, beginne noch einmal mit dem Aufsetzen der Finger, verringere etwas den Druck und probiere es noch einmal etwas sanfter.
  5. Im Verlauf kannst du die Position deiner Finger insofern verändern, als dass du sie rund um die Brustwarze anlegst, damit du verschiedene Bereiche der Brust und ihre dazugehörigen Milchgänge entleeren kannst.

Wenn du feststellst, dass auf einer Seite keine Milch mehr kommt bzw. der Milchfluss deutlich schlechter wird, kannst du – je nach Bedarf – das gesamte Prozedere inkl. Massage auf der anderen Seite ebenfalls durchführen.
Die gewonnene Milch fängst du selbstverständlich im entsprechend vorbereiteten Gefäß auf.

„Ausstreichen“ oder „Handgewinnung“?

Umgangssprachlich wird das, was du hier gelesen hast, gern als „ausstreichen“ bezeichnet. Und aus irgendeinem Grund hält sich der Begriff auch sehr hartnäckig. Vielleicht weil „Muttermilch mit der Hand gewinnen“ ganz schön sperrig ist und irgendwie auch viel komplizierter klingt als „ausstreichen“? Ich weiß es nicht.
Du weißt jetzt jedenfalls, dass es genau NICHT darum geht, irgendwo auszustreichen, sondern dass es wichtig ist, dass deine Finger nicht auf der Haut rutschen. So schonst du nämlich sowohl das darunter liegende Gewebe, als auch die Haut im betreffenden Bereich selbst.

Booster für die Milchgewinnung

Es gibt noch ein paar Tricks und Tipps, durch die du dich etwas durchprobieren kannst oder musst.
Überlege dir, was dich vielleicht ein wenig entspannen könnte. Schöne Musik? Ein angenehmes warmes Bad? Eine Massage deines Partners oder deiner Partnerin? Ein warmer Umschlag auf der Brust?
Denn wenn du entspannt bist, fließt das Oxytocin besser. Das ist das „Kuschelhormon“ von dem ich dir weiter oben schon erzählt habe – und das hilft dir natürlich bei der Handgewinnung.
Viele Frauen berichten, dass es ihnen hilft, wenn sie sich nochmal vor Augen führen, wofür sie all das machen – ihr Kind. Das kannst du machen, indem du dir Bilder oder Videos deines Kindes anschaust. Oder ganz pragmatisch dein Kind selbst. Manche Mamas unterstützen das auch noch mit Geruch, zum Beispiel indem sie an einem getragenen Strampler oder der Kuscheldecke riechen. Auch das kann zur Erhöhung des Oxytocin-Spiegels führen. Gerade Gerüche gehen quasi direkt ins Gehirn und umschiffen den Thalamus, der unser „Tor zum Bewusstsein“ ist.

Üben, üben, üben

Wie oft (oder fast immer) beim Thema Stillen gilt auch hier: hab Geduld mit dir selbst, lass dir Zeit und bleib dran.
Vielleicht fühlt es sich am Anfang noch sehr komisch an, deine Brust selbst so zu berühren und sogar zu massieren. Das ist ok. Die meisten von uns hatten damit im wahrsten Sinne des Wortes vorher keine Berührungspunkte.
Mit der Zeit wirst du immer vertrauter damit und wirst schon bald sehen, wie praktisch die Handgewinnung ist.
Und ist es nicht super, in wievielen Situationen du dir so selbst helfen kannst?

Lesen reicht nicht?

Manchmal ist es hilfreich, Dinge nicht nur in epischer Breite zu lesen. Manchmal muss man es einfach mal gesehen haben.
Dafür gibt es mehrere Möglichkeiten: Entweder du besuchst in der Schwangerschaft einen Stillvorbereitungskurs. Oder du buchst eine ganz individuelle Stillberatung und schaust die Situation mit mir oder einer Kollegin an.
Und dann kannst du dir auch schonmal ein Video anschauen. Bei Global Health Media gibt es so einige gute zum Thema Stillen, Vorbeischauen lohnt sich also auf jeden Fall.
Und wenn sich dann Video und Text mit Anleitung schwarz auf weiß und im eigenen Tempo ergänzen – bist du bald schon Profi und kannst deine Muttermilch mit Leichtigkeit von Hand gewinnen.

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